T. Bögli: Der prägende Einfluss der Kander auf die Region Thun

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Titel
Der prägende Einfluss der Kander auf die Region Thun.


Autor(en)
Bögli, Thomas
Erschienen
Thun 2018: Werd & Weber Verlag AG
Anzahl Seiten
176 S.
von
Melanie Salvisberg, Historisches Institut, Universität Bern

Die Kanderumleitung von 1711 bis 1714 war ein Pionierprojekt, das die Region Thun tief greifend veränderte: Innerhalb weniger Jahre wurde der Fluss, der vormals unterhalb der Stadt in die Aare mündete, durch einen neu erstellten Stollen in den Thunersee eingeleitet. Damit konnten weite Gebiete im Westen und Norden Thuns trockengelegt werden. Diese erste grosse Gewässerkorrektion der Schweiz war eine technische Kühnheit, die viele unvorhergesehene Konsequenzen nach sich zog und die Region bis heute prägt.

Das Wasserbauprojekt und seine Folgen sowie den Einfluss der Kander auf die Region Thun behandelt der ortsansässige Ingenieur Thomas Bögli in einer vom Verlag Werd & Weber herausgegebenen Publikation. Das an ein breites Publikum gerichtete Buch ist mit 178 Abbildungen reich illustriert. Es soll nicht nur informieren, sondern «auch ein Bilderbuch sein, das die Schönheit dieser Gegend präsentiert» (S. 6). Neben Grafiken, Plänen, Fotografien und Gemälden sind auch viele historische und aktuelle Karten abgedruckt. Der Haupttext wird zudem durch Tabellen und farbige Kästen mit Begriffserklärungen oder Hintergrundinformationen ergänzt.

Inhaltlich deckt das Buch ein breites Spektrum ab: Thomas Bögli will nicht nur den früheren Lauf der Kander und ihrer Zuflüsse aufzeigen, sondern vor allem auch den Einfluss der Gewässer auf die Landschaft, die Bauten, die Siedlungsentwicklung und das Leben der Anwohner untersuchen. Die Grobstruktur orientiert sich an fünf Fluss- oder Geländeabschnitten. Innerhalb der Hauptkapitel werden so unterschiedliche Themenbereiche behandelt wie die Wassernutzung, die Brücken, die Hochwassersituation oder der Kiesabbau.

Das erste Kapitel, das einer kurzen Einleitung bestehend aus Vorwort und Erläuterungen zur Gliederung folgt, beschäftigt sich mit dem Gebiet Wimmis–Reutigen. Einführend werden die Wasserläufe der Kander und der Simme vorgestellt. Darauf aufbauend wird die Erosion thematisiert, die seit der Kanderumleitung ein Problem darstellt. Anhand der Renaturierungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl an der Kander als auch an der Simme streckenweise vorgenommen wurden, werden die Mass-nahmen des aktuellen Hochwasserschutzes aufgezeigt. Nach einem Blick auf die Brücken wird die Wassernutzung beleuchtet, die bis ins 19. Jahrhundert den Holztransport sowie seit je auch die Energiegewinnung beinhaltet.

Im zweiten Kapitel zum Glütschbachtal beschreibt Bögli den alten Kanderlauf, der bis zur Umleitung durch ein breites Bett zwischen dem Strättlighügel und Zwieselberg führte. In diesem Gebiet hatte es schon früh Eingriffe in die Gewässer gegeben: Bereits 1589 hatten Bauern aus Allmendingen Wasser aus der Kander abgeleitet, um ihre Felder zu bewässern. Rund hundert Jahre später wurde dazu sogar ein Kanal gegraben. Der namengebende Glütschbach mündet seit 1714 nicht mehr bei Hani in die Kander, sondern in Uttigen in die Aare.

Die grosse Schwemmlandebene zwischen Gwatt und Uttigen steht im Fokus des dritten Kapitels. Hier suchte sich der Fluss ursprünglich einen Weg durch das in riesigen Mengen abgelagerte Geschiebe, bevor er schliesslich in die Aare mündete. Nach dem Kanderdurchstich wurde das von Überschwemmungen geplagte Land urbar gemacht. Ab dem 19. Jahrhundert wurden im ehemaligen Gewässerraum auch Siedlungsgebiete und militärische Anlagen errichtet. Ergänzend werden auch verschiedene kleine Bäche, die ehemaligen Mühlen im Gwatt sowie der untere Abschnitt des Glütschbachs vorgestellt.

Das vierte Kapitel widmet sich schliesslich dem Kanderdurchstich inklusive dessen Vorgeschichte, Projektablauf, Kosten, Schwierigkeiten und Folgen im Gebiet des Strättlighügels. Durch die Einleitung des Flusses in den Thunersee entstand ein neues Delta, aus dem Kies entnommen werden muss, um ein Verlanden des unteren Thunerseebeckens zu verhindern. Grosse Teile des Deltas stehen heute unter Naturschutz.

Im fünften und letzten Kapitel befasst sich Bögli mit dem unteren Thunerseeufer, der Stadt Thun und dem Aareabschnitt Thun–Uttigen. Hier veränderte der Kanderdurchstich die Hochwassersituation: Während vorher vor allem die nördlichen und westlichen Gebiete von der Kander oder durch einen Rückstau der Aare überflutet wurden, verstärkte sich nachher die Hochwassergefahr an den Seeufern. In diesem Zusammenhang werden auch die seit dem 18. Jahrhundert vorgenommenen Schutzmassnahmen sowie die Wasserbauten zur Nutzung der Gewässer beleuchtet.

Als Abschluss resümiert der Autor, dass die Kander die Landschaft der Region Thun seit Jahrtausenden prägt und die Menschen seit Jahrhunderten in vielerlei Hinsicht beschäftigt. Er betont, dass es trotz intensiver Bemühungen nie gelungen ist, die Kander zu bändigen, und der Fluss auch in Zukunft auf sich aufmerksam machen wird. Im Anhang des Buchs finden sich unter anderem ein Stichwortverzeichnis sowie eine Auflistung der verwendeten Quellen und Literatur.

Die Publikation bietet einen ausgezeichneten Überblick über die Geschichte der Kander und ihrer Zuflüsse in der Region Thun sowie über die vielfältigen Einflüsse der Fliessgewässer. Die räumliche Eingrenzung ermöglicht es, auch die kleinen Seitenbäche zu berücksichtigen, die – obwohl sie für die alltägliche Wassernutzung von grosser Bedeutung waren – meistens vernachlässigt werden. Die thematische Breite ist sehr gewinnbringend, da sie deutlich macht, wie eng die Gewässer etwa mit der Landnutzung, der Siedlungs- und der Verkehrsentwicklung verknüpft sind. Gleichzeitig liegt darin auch eine Schwäche, da dadurch viele thematische und zeitliche Vor- und Rückgriffe nötig werden. Dass die Kapitel teilweise nicht in die Tiefe gehen, ist mit dem Konzept des Buchs zu erklären. Besonders hervorzuheben ist die Vielfalt, die Qualität und die Aussagekraft der Abbildungen. Insgesamt ist Thomas Bögli ein abwechslungsreiches, verständliches und hervorragend bebildertes Buch gelungen, das auch Historikerinnen und Historikern wertvolle Anstösse liefert.

Zitierweise:
Melanie Salvisberg: Rezension zu: Bögli, Thomas: Der prägende Einfluss der Kander auf die Region Thun. Thun: Werd & Weber 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 81 Nr. 4, 2019, S. 65-67.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 81 Nr. 4, 2019, S. 65-67.

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